Ob mit oder ohne Gott: Weihnachtsmärkte sind beliebt. Foto: Pia Neuenschwander
Wie geht Weihnachten ohne Gott?
Vieles an und um Weihnachten hat mit Religion nichts zu tun: Weihnachtsbaum, Geschenke, Weihnachtsmärkte. Ist das ein Problem? Nein, eine Chance, schreibt die Theologin Elisabeth Zschiedrich.
Elisabeth Zschiedrich
Was für ein Fest. Weihnachten lässt kaum jemanden unberührt, irgendetwas verbinden alle damit. Ein Innehalten im Galopp der Zeiten, die Freude am Schenken, Alleinsein als No-Go, Festessen oder Familientreffen. Wer bewusst aufs Weihnachten-Feiern verzichtet, erinnert sich häufig zumindest an frühere Feste. Auch im öffentlichen Raum ist Weihnachten omnipräsent. Städte und Dörfer sind erleuchtet, Bäume geschmückt, es gibt Weihnachtskonzerte, Christkindlmärkte und überall Konsumanreize. Vor allem der Advent hat eine kollektiv-soziale Dimension.
Rückzug ins Private
An Heiligabend folgt dann der Rückzug ins Private. Nach der Hektik der Vorweihnachtszeit, den überfüllten Innenstädten und den Staus auf den Autobahnen kommt das öffentliche Leben fast komplett zum Erliegen. Abgesehen von Notdiensten, der Energie- und Krankenversorgung werden alle Systeme heruntergefahren. Eine Art «Weltunterbrechung» geschieht. So beschreibt Armin Nassehi den Ruhezustand, den der Heiligabend mit sich bringt. Im öffentlichen Raum wird «alles langsamer und ereignisloser», man findet sich zum Feiern zu Hause ein.
Denn Weihnachten ist ein Familienfest. Unter dem Baum ist Alleinsein keine Option, hier kommt man als Gruppe zusammen. Jede Familie feiert auf andere Weise, aber es gibt Rituale, die wiederkehren: Das festliche Essen, das gegenseitige Beschenken, das gemeinsame Musizieren. Harmonisch soll es sein, friedlich und gemütlich. Aber ist es das auch? Das «Zurückgeworfen-Sein auf die Familie», wie Nassehi es nennt, birgt Konfliktpotenzial. Nicht selten missglückt das Zusammensein, es kommt zu Streit und gegenseitiger Genervtheit. Ein eigenes Film-Genre ist darüber entstanden.
Zunächst einmal ist Weihnachten ja ein christliches Fest. Wir feiern es, weil Gott Mensch geworden ist und sich dieser Welt damit radikal zugewandt hat. Der ganz Grosse hat sich im ganz Kleinen gezeigt und den Menschen seine bedingungslose Liebe zugesichert. Ohne diesen Gedanken, so unwahrscheinlich wie einmalig, geht es nicht. Oder etwa doch? Warum sonst feiern dieses Fest auch Menschen, die sich ausdrücklich als nicht religiös beschreiben? Warum sonst ist Weihnachten ein globales Phänomen, das in fast aller Welt Raum einnimmt, auch dort, wo das Christentum ansonsten kaum präsent ist?
Tradition aus dem 19. Jahrhundert
Der Zeitpunkt am Ende des Jahres spielt sicher eine Rolle. Die Tatsache, dass alles zuläuft auf dieses Fest. Auch das Wunder der Geburt und der damit verbundene Neuanfang, der eine Chance darstellt, aber immer auch ein Wagnis. Die Weihnachtsgeschichte, die viele Anknüpfungspunkte auch für säkulare Kontexte bietet: die ungeplante Schwangerschaft, die Herbergssuche, ein besonderer Stern am nächtlichen Himmel, die Hirten und Engel. Auch ihre Botschaft von Frieden, von Erlösung, ihr «Freut euch und fürchtet euch nicht» faszinieren.
Die Tradition der häuslichen Feier am Heiligabend gibt es seit dem 19. Jahrhundert. Sie entwickelte sich, nachdem der Weihnachtsgottesdienst in der evangelischen Kirche vom 25. Dezember auf den Nachmittag des Vortags verlegt worden war. Im städtischen Bürgertum waren Wohn- und Arbeitswelt voneinander getrennt, so entstand Raum für Privatsphäre und individuelle Rituale. Die Familie wurde wichtiger und die Kindheit als Lebensphase gewann an Bedeutung, die Kinder rückten in den Mittelpunkt des Festes.
Zu dieser Zeit war die häusliche Heiligabendfeier noch klar religiös geprägt. Stephan Wahle nennt das Verlesen der Weihnachtsgeschichte aus dem Lukas-Evangelium, das Singen von Weihnachtsliedern und das gemeinsame Gebet als feste Elemente der Feier. In christlichen Familien haben sich diese Elemente zum Teil bis heute erhalten. Andernorts ist die Heiligabendfeier inzwischen ein weitgehend weltliches Ritual. Der Weihnachtsbaum wackelt nicht. Aber die Krippe steht auf der Kippe.
Da liegt ein Vorwurf nahe, der im christlichen Kontext wohl kaum jemandem fremd ist: Ein weltliches Weihnachten sei ja nun nicht das richtige! Konsumrausch, Kerzenschein und Gefühlsduselei, darum ginge es doch nicht. Manch einer ist genervt, manch andere verärgert. Aber trifft der Vorwurf überhaupt zu? Erschöpft sich Weihnachten für die meisten Menschen heute in Oberflächlichkeit? Maurice Baumann stellte zumindest vor einigen Jahren noch fest, die gewöhnlichen Klischees stimmten nicht. In vielen Familien gebe es noch immer eine gewisse «weihnachtliche Religiosität» , die sich im Zusammensein, in Solidarität und menschlicher Wärme ausdrücke.
«Weil Weihnachten ist, hält der Alltag inne»
In der Tat ist das Bewusstsein für die christliche Verankerung von Weihnachten auch heute noch sehr verbreitet. Die weltlichen Ursprünge, die das Fest ebenso hat, sind dagegen weit weniger bekannt. Ganz gleich, wie Menschen Weihnachten feiern, ob sie in den Gottesdienst gehen, regelmässig oder nur einmal im Jahr, ob sie eine religiöse Sehnsucht in sich tragen, die sie – und sei es nur an Weihnachten – nach einem Gott suchen lässt, wie Magnus Striet es vermutet, oder ob sie sich einfach der «Freude am Dasein» hingeben, für die Weihnachten ebenfalls steht: Das Weihnachtsfest ist Botschafter des Christentums. Es zeigt im besten Sinne dessen «missionarische» Kraft. Denn es ist ein Fest, das kulturelle Praxis geprägt hat, nachhaltig und weltweit, und das damit Christ:innen und Nicht-Christ:innen verbindet.
Weil Weihnachten ist, hält der Alltag inne. «Zusammensein-mit-anderen» und «Frieden» sind die thematischen Botschaften, die mit dieser kulturellen Praxis transportiert werden und die wohl fast allen Menschen in diesen Tagen in irgendeiner Weise vor Augen stehen, ob sie an Gott glauben oder nicht. Muss man dann klagen, dass manche Menschen nur an Weihnachten in den Gottesdienst kommen? Dass sie feiern, ohne zu beten? Dass Weihnachten vielerorts einfach ein Fest der Liebe und der Familie ist? Dass es als «Fundus neuer Jahresabschlussbräuche» herhalten muss?
Seien wir ehrlich: Weihnachten, das ist Christentum at its best! Ein Fest für alle, ein Fest, das zeigt, was diese Welt und was das Menschsein darin sein könnten. „Friede auf Erden, den Menschen seiner Gnade“. Ohne moralinsauren Ton, aber mit vielen Geschenken, gutem Essen und freier Zeit. Im Gegensatz zu anderen christlichen Feiertagen ist es in seiner Existenz nicht bedroht. Weihnachten wird bleiben, egal in welcher Form. Christ:innen gibt es die Chance zu bekennen, dass es nicht einfach ein Winterfest ist. Dass Weihnachten für sie nicht ohne Gott geht. Aber wenn das für Andere möglich ist – warum nicht?
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In der aktuellen Folge von OMG – Der Podcast über mehr als alles diskutiert Elisabeth Zschiedrich mit Daniel Bogner, Noemi Honegger und Markus Zimmermann über die Bedeutung von Weihnachten.
Dieser Text erschien zuerst auf katholisch.de.