Älplerzmorge mit Aussicht
In grossen Behältern wird die noch körnige Käsemasse mit Zutaten wie Bärlauch, Knoblauch, Pfeffer, Chili und Kräutern vermischt. «Heute wollen die Leute Variationen, immer wieder etwas Neues», sagt Bernadette Brunner und rührt mit kräftigen Bewegungen getrocknete Knoblauchflöckchen in den Käse. Die Masse wird in kleine Kunststoffzylinder verteilt, flach gedrückt und mit Gewichten beschwert. Roland Brunner schöpft weitere Käsemasse aus dem Chessi, das er vom Holzfeuer weggeschwenkt hat. Der Käse wird während zweier Tage fest, kommt dann ins Salzbad und anschliessend in den Käsekeller. Während Roland Brunner nach dem «Chäse» Geschirr und Boden reinigt, schneidet Bernadette Nidletäfeli. «Nebst Alpbutter mache ich aus der Nidle hin und wieder auch Täfeli, diese Süssigkeit ist sehr beliebt,» sagt sie und stellt Züpfe und Kaffee auf den Tisch für die wohlverdiente Pause.
Die Alp Heubühlen liegt eine Wanderstunde über dem Berner Oberländer Dorf Habkern. Der Aufstieg über blühende Bergwiesen und durch den Wald geht etwas «in die Beine», die Mühe wird belohnt mit einer prächtigen Aussicht und einem herrlichen «Älplerzmorge»: Selbstgebackenes Brot, Rösti, verschiedene Käsesorten, hausgemachte Wurst, Kaffee und Milch stehen auf dem rot-weiss karierten Tischtuch. Der Blick geht über die Matten auf das Panorama der Schneeberge, es ist eine Bilderbuchszenerie. Bernadette Brunner holt TräumerInnen jedoch gerne in die Realität eines Alpbetriebs zurück: Das Bauern hier oben ist hart, mit viel körperlicher Arbeit verbunden. Ruhetage gibt es im Sommer höchstens bei schlechtem Wetter – die Kühe machen auch nicht frei, die Milch muss verarbeitet werden. Brunners Hof liegt an der Bohlseite in Habkern, vom Juni bis im September leben und arbeiten sie auf der Alp Heubühlen. Die beiden Töchter Belinda und Janette sind talentierte und ambitionierte Nachwuchsfahrerinnen im Skiclub Habkern und trainieren beide im Regionalen Leistungszentrum. Schule und Sport müssen das ganze Jahr hindurch nebeneinander Platz haben. Im Sommer helfen die zwei Mädchen auf Heubühlen mit. ZumAlpbetrieb gehören 29 Stück Vieh, davon 10 Milchkühe, und sieben gesunde, fröhliche Schweine. Roland, Bernadette und ihre Töchter alpnen mit Herzblut und grossemEngagement und wollen möglichst viele teilnehmen lassen an ihrer Tätigkeit. Bernadette Brunner hat die Idee von der Gastfreundschaft auf der Alp sachkundig umgesetzt.
Wer auf Heubühlen kommt, erlebt den Alpbetrieb unmittelbar mit und kann die hier hergestellten Produkte auf der Terrasse vor dem Haus geniessen: Nebst dem Älplerzmorge kann das tagsüber auch ein feines Heubühler Plättli mit Käse und Wurst sein, Hobelkäse oder eine KemmeribodenMeringue, abends gibt es Raclette oder Fleisch vom Grill.
Brunners liegt viel daran, den Landwirtschaftsbetrieb für Interessierte zu öffnen. Die «Stallvisite» ermöglicht es Erwachsenen und Kindern, Kühe aus allernächster Nähe zu sehen, zu berühren. Die Begegnung mit den Tieren ist für viele ein unvergessliches Erlebnis. «Oh, das isch ja ganz warm», rufen Kinder etwa, wenn sie eine Kuh zum ersten Mal streicheln dürfen. Die «Stallvisite» wird von Familien und von Schulklassen gleichermassen geschätzt. Es soll keine Schau sein, versichern Brunners, jedoch das Kennenlernen der Herkunft unserer Lebensmittel. Um das geht es auch, wenn Gäste einige Tage oder Wochen auf der Alp leben wollen: Ihnen soll und kann keine Idylle vermittelt werden, aber gerne teilen Brunners mit ihnen ihren Alltag. «Da kommt es dann halt manchmal auch vor, dass der eine oder andere erstaunt ist, wie viel wir hier oben zu tun haben und dass es von morgens früh bis abends körperlich anstrengende Arbeit ist ...»
Die beiden Alpbauern sind «wärchige» Leute. Im Winter arbeitet die diplomierte Hotelfachfrau und Diätköchin Bernadette Brunner im Kongresszentrum Interlaken, im Sommer betreibt sie neben ihrer Arbeit auf Heubühlen auf den Märkten in Interlaken und Spiez einen eigenen Stand, im September ist sie am Käsefest beim Dorfbrunnen Habkern präsent. Stets verkauft sie den auf der Alp hergestellten Käse und Nidletäfeli. Landwirt Roland Brunner ist auch Forstwart und Klauenschneider, in der Jugendorganisation Habkern ist er zuständig für die Nachwuchsförderung: «Ich engagiere mich gerne für die Jungen», sagt er, der im Winter die örtliche Schneesportschule leitet und als Skilehrer tätig ist.
Sind sie so eine Art Power-Sennen? Die beiden lachen. Sicher nicht, meinen sie. Sie haben ganz einfach Freude an ihren verschiedenen Tätigkeiten, die sie mit vielen Menschen in Kontakt bringen. Dabei stellen sie immer wieder fest, dass Interesse für ihre Arbeit da ist, dass Bekanntschaften und Freundschaften entstehen. Das Leben auf der Alp ist keineswegs so abgeschieden, wie wir Unterländer uns das manchmal vorstellen.
Text: Marie-Louise Beyeler
Fotos: Pia Neuenschwander