Sabine Kempf vom Landeskirchenrat richtet ein Grusswort an die Teilnehmenden der Asylseelsorge-Tagung. Foto: Charles Martig

Asylseelsorge: «Wichtig ist die Menschlichkeit, die wir erfahren»

Die Seelsorge in den Bundesasylzentren im Kanton Bern ist anspruchsvoll, aber auch bereichernd. Das zeigt eine Tagung zur Asylseelsorge. Es geht um eine professionelle Haltung und um Menschlichkeit.


Charles Martig

Es tönt zuerst einmal sehr alltäglich und praktisch. Zur Tagung über «Seelsorge und Spiritual Care im Asylwesen» vom 28.11.2024 in Bern treffen sich Seelsorger:innen, Vertreter:innen des SEM und Partnerorganisationen sowie Mitarbeitende des Bundesasylzentrums. Doch zuerst gehört die Stimme den Asylsuchenden: aus der Türkei, Syrien und Irak. Sie berichten auf einem Podium über ihre Erfahrungen in der Begegnung mit den Seelsorgenden. 

«Die Seelsorgerin hat mir Empathie gegeben» 

«Ehrlich wusste ich zuerst nicht, was eine Seelsorgerin oder ein Seelsorger ist», sagt M. P. aus dem Irak. «Erst später hatte ich erste Gespräche im Bundesasylzentrum. Es war ein menschliches Erlebnis. Wichtig ist die Menschlichkeit, die wir in der Seelsorge erfahren.» Diese Stimme wird unterstützt von O. C. aus der Türkei: «Die Seelsorgerin hat mir die Empathie gegeben, die ich brauchte. Sie sagte, ich bin immer für dich da.»

Die Theologin und Asylseelsorgerin Irene Neubauer führt durch das Podium. Sie frägt nach den wichtigsten Eigenschaften: «Für mich ist die wichtigste Eigenschaft einer Seelsorgerin das Verständnis für meine Situation», sagt O. C. In die gleiche Richtung geht A. C. aus Syrien: «Die wichtigste Eigenschaft ist Empathie.»

Barbara Teuscher von der reformierten und Irene Neubauer von der katholischen Seite zeigen anhand von Beispielen wie anspruchsvoll und gleichzeitig menschlich bereichernd ihre Arbeit in den Bundesasyl- und Rückkehrzentren ist.
 


Neue Broschüre: «Plädoyer für ein integratives Seelsorgemodell»

Anlass der Tagung ist nicht nur die Begegnung mit Asylsuchenden, sondern auch die Reflexion über die Arbeit, die hier geleistet wird. Die Seelsorgenden aus christlichen Landeskirchen und muslimischen Religionsgemeinschaften wollen sich verständigen: Sie legen ihr integratives Seelsorgeverständnis dar. Daraus ist eine Broschüre entstanden: «Alle für alle. Und du für mich! Plädoyer für ein integratives Seelsorgemodell im multireligiösen Kontext». 

Die Publikation bringt konkrete Beispiele und das Nachdenken darüber. Sabine Kempf vom Landeskirchenrat der röm.-kath. Kirche dankt für dieses neue Seelsorgemodell, das multireligiös ausgerichtet ist. Der Dialog über das Verständnis institutioneller Seelsorge sei sehr wichtig; gerade in einer Situation der religiösen und kulturellen Vielfalt.

Aber wie geht Seelsorge in einem pluralistischen Kontext, wie sie die Gesellschaft in der Schweiz heute zeigt? Ursula Marti, Grossrätin und ref. Synodalrätin gibt Einblick in ihre Motivation. «Ich bin von Kind an mit den Geschichten der Bibel aufgewachsen. Es geht um die Haltung, sich für die Schwächeren einzusetzen. Und es geht um das Verhältnis zur Macht, um das Einstehen für die Entrechteten und Unterdrückten. Diese Geschichten haben mich politisiert.» Marti fügt hinzu: «Ich setze mich deshalb für die Spezialseelsorge ein.»

Muslimische Seelsorger melden sich zu Wort

Aus der Perspektive eines muslimischen Seelsorgers berichtet Muris Begovic: «Ich bin fester Überzeugung, dass die Seelsorge eine Verankerung in der Religion braucht. Was die Christen ausmacht, ist die institutionalisierte Seelsorge. Im Islam gibt es diese Form heute noch nicht.» Er möchte jedoch aktiv darauf hinarbeiten. 

An der Tagung diskutiert auch der muslimische Seelsorger Zeadin Mustafi mit. Er hat einen eigenen Beitrag in der neuen Broschüre geschrieben und das integrative Modell aus muslimischer Perspektive behandelt. Mustafi sagt: «Öfters sind es existentielle Situationen: Traumatisierungen sind bei Asylsuchenden verbreitet. Anhand meiner Erfahrungen versuche ich zu geben. Dazu braucht es Ausbildung und eine gute Portion Menschlichkeit.»

Vielfältige Rollen

Eine weit verbreitete Erfahrung sei die Verletzlichkeit von Asylsuchenden: «Es geht um vulnerable Situationen: sowohl für die Asylsuchenden als auch für die Seelsorgenden», sagt Claudia Graf, die reformierte Beauftragte für Spezialseelsorge und öffnet damit das Feld für die Rolle der Seelsorger:innen.

Irene Neubauer ist sich der Vielfalt ihrer Rollen bewusst: «Ich versuche in den verschiedenen Rollen, etwas Sinnvolles zu bewirken.» Der Imam Muris Begovic geht noch einen Schritt weiter: «Die Rollen kann man nicht auf einen Punkt bringen. … Deshalb erlebe ich die Seelsorge als etwas Prozessorientiertes.»

Spiritual Care zeigt sich heute in den Asylzentren als eine wichtige Kraft. Sie setzt multireligiös an und muss mit der kulturellen Diversität umgehen. Das ist enorm anspruchsvoll. Die Asylseelsorger:innen zeigen mit ihrem neuen Modell, dass es Wege gibt, diesen Situationen mit einer professionellen Haltung und mit Menschlichkeit zu begegnen.

 

Die Broschüre «Alle für alle! Und du für mich.» Plädoyer für ein integratives Seelsorgemodell im multireligiösen Kontext» ist vom Berner Asylseelsorgeteam SESABE verfasst.

Die Seelsorge in den Bundesasyl- und Rückkehrzentren des Kantons Bern wird ökumenisch von der Interkonfessionelle Konferenz der Landeskirchen (IKK) getragen.