
Jona Neidhart verliess Bern, um in der Ukraine gegen Russland zu kämpfen. Foto: Pia Neunschwander
Der Schweizer Jona Neidhart kämpft in der Ukraine: «Weil Gott es will»
Jona Neidhart ist gläubiger Christ. Er kämpft als Söldner in der Ukraine. Neidhart ist überzeugt: «Als Christ ist man aufgerufen, denen zu helfen, die sich nicht selbst schützen können.» Ein Porträt.
Annalena Müller
Jona Neidhart ist gross und sportlich. An diesem sonnigen Nachmittag kurz vor Weihnachten wirkt der 37-Jährige angespannt. In wenigen Tagen wird er in die Ukraine aufbrechen. Neidhart will kämpfen – für die Ukraine, gegen den Aggressor Russland. Wie schon 2022.
Christliche Pflicht
Im März 2022, kurz nachdem russische Truppen auf ukrainisches Territorium nördlich der Krim eingedrungen waren, ist Neidhart das erste Mal aufgebrochen. Er folgt dem Ruf des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj. Dieser rief nach der Invasion kampfeswillige Männer aus aller Welt zur Hilfe. Nach Selenskyjs Appell kann Neidhart an kaum etwas anderes denken. «Ich betrachte es als die Pflicht eines Christen, Hilfe zu leisten, wenn man darum gebeten wird.»
Der Schweizer, der mütterlicherseits polnisch-ukrainische Wurzeln hat, studiert zur Zeit des Kriegsausbruchs an der Pädagogischen Hochschule in Bern. Nebenher jobbt er bei «Protectas». Am Wochenende besucht er mit seinen Eltern den Gottesdienst in der Kirchgemeinde der Mormonen in Zollikofen. Neidharts Leben dümpelt vor sich hin, bis der Hilferuf des ukrainischen Präsidenten etwas in ihm auslöst.

Während Hunderttausende, vor allem Frauen und Kinder, die Ukraine verlassen, bricht Neidhart nach Kiew auf. Dort tritt er der internationalen Legion der ukrainischen Armee bei und findet sich nach nur kurzem Training an der Front wieder. Das Kriegshandwerk eignet er sich vor allem durch «Learning by Doing» im Schützengraben an.
Gerechter Krieg
Ob sich Glaube und Gewalt nicht ausschliessen? «An sich schon.» Aber das höchste Gut im Christentum sei die Nächstenliebe. Und die verbietet es, tatenlos zuzusehen, wenn Unschuldigen Leid zugefügt wird. «Als Christ ist man aufgerufen, denen zu helfen, die sich nicht selbst schützen können.» Davon ist der gläubige Mormone überzeugt, das merkt man im Laufe des Gesprächs immer wieder.
Wie Katholik:innen kennen auch Mormon:innen das Konzept eines «Gerechten Kriegs». Angegriffenen ist es erlaubt, sich gegen ihre Aggressoren zu verteidigen. Sie dürfen ihr Gebiet, wenn nötig, mit Gewalt befreien und dafür auch die Hilfe anderer annehmen. Während die katholische Lehre vom Gerechten Krieg massgeblich von Thomas von Aquin geprägt wurde, fussen die mormonischen Vorstellungen auf der Geschichte des Hauptmanns Moroni im Buch Mormon, einer der heiligen Schriften der Glaubensgemeinschaft. Neidhart hat die Geschichte verinnerlicht, sie gehört zu seinen liebsten aus dem Buch Mormon.

Warum will er ausgerechnet der Ukraine helfen und nicht anderen Schutzlosen, z. B. im Sudan oder in anderen vergessenen Kriegen der Welt? «Zum einen gab es dort keinen Appell an die Welt um Hilfe. Zum anderen ist die Ukraine in Europa. Es sind unsere Nachbarn.» Neidhart lässt sich nicht ablenken. Seine Antworten sind direkt und wirken authentisch.
Wie sein Gegenüber dazu steht, ist eine andere Frage. An Kritik, auch gerade aus christlichen Kreisen, ist er gewöhnt. Im Gegensatz zu den meisten anderen Schweizer Freiwilligen, die in der Ukraine kämpfen, sucht Neidhart die Öffentlichkeit. Nach zweieinhalb Jahren in der Ukraine kehrt er kurz vor der Bürgenstock-Konferenz im Juni 2024 in die Schweiz zurück. Er will die mediale Gunst der Stunde nutzen und die Schweizer:innen ausserhalb der politisch-diplomatischen Blase aufrütteln.
Neidhart will aufrütteln
In der Schweiz sind die «Fremden Dienste», mit Ausnahme desjenigen in der Päpstlichen Schweizergarde, verboten. Am 15. Juni 2024 stellt sich Neidhart der Berner Polizei. Der «Blick» begleitet ihn. Neidhart will die Schweizer Öffentlichkeit erreichen.
Er hat verstanden, wie Menschen und Medien funktionieren. Er gibt dem Krieg ein Schweizer Gesicht. Man kann ihn bewundern oder ablehnen, auf ihn alle möglichen Gefühle projizieren, aber man kann den Schweizer in ukrainischer Uniform nur schwer ignorieren. Das ist sein Ziel: dass die Schweizer:innen in ihrem sicheren, von NATO-Staaten umgebenen Land den Krieg im Osten Europas nicht ausblenden. «Er geht uns alle etwas an», sagt er.

Zu der Zeit, als das «pfarrblatt» mit ihm spricht, bereitet Neidhart sich auf die Rückkehr in die Ukraine vor. Er will wieder kämpfen. Denn die Situation an der Front ist zunehmend angespannt. Der Westen zögert mit Waffen- und Munitionslieferungen. Die Russen schicken neben ihren eigenen Soldaten Tausende Nordkoreaner als Kanonenfutter ins ukrainische Abwehrfeuer. Mit dieser perfiden Strategie sollen die knappen Munitionsvorräte der ukrainischen Bevölkerung weiter ausgezehrt, die Moral der kampfesmüden Verteidiger:innen weiter untergraben, der Krieg für Russland entschieden werden. Und dann ist da Donald Trump, der den Krieg einfrieren will – ob mit oder ohne Sicherheitsgarantien für die Ukraine, ist unklar. «Es ist ein entscheidender Moment», sagt Neidhart.
«Wahrscheinlich habe ich getötet»
Jona Neidhart verfügt vor 2022 über keine militärische Erfahrung. «Ich wusste nicht, wie ich auf den Krieg reagieren würde, ob ich das aushalten würde», sagt er. Er hält es aus. Zu seiner eigenen Überraschung kommt er mit dem Gefechtslärm, dem Stress, dem Tod gut klar. Sein Glaube gebe ihm Kraft, sagt er.
Ob er selbst getötet hat? «Wahrscheinlich.» Mit seinem Sturmgewehr war er laut eigener Aussage in mehrere heftige Gefechte verwickelt. Dass er dabei getroffen hat, nimmt er an. Doch der Kampf an der Front ist nicht Mann gegen Mann. Drohnen orten feindliche Stellungen, die Schützen erhalten Koordinaten und richten ihre Waffen darauf. Den Feind sieht man selten. Das mache es einfacher, weiss Neidhart.

Angst vor dem Tod hat der Schweizer keine. Der Mormone hat konkrete Vorstellungen vom Leben nach dem Tod. «Der Tod ist für mich ein Übergang. Ich gehe von einem Raum in den nächsten.» Sein Glaube gebe ihm selbst in gefährlichen Situationen an der Front eine grosse Ruhe. Das falle auch seinen Kameraden auf, die seine Nähe suchten.
Dass sein Tod bei seiner Rückkehr an die Front ein reales Risiko ist, weiss er. Er hat sein Testament gemacht. Im Fall des Falles geht alles an seine Eltern. Diese hadern mit der Entscheidung ihres einzigen Kindes. Besonders seine Mutter mache sich Sorgen. Doch sie akzeptiere seine Entscheidung.
Wenige Tage nach dem Treffen in Bern meldet sich Neidhart per Whatsapp aus Kiew. Er ist einer Eliteeinheit beigetreten und bereitet sich auf die Front vor. Wenn dieses Porträt im Februar erscheint, kämpft Jona Neidhart wieder. Sein Lieblingsabzeichen auf der Uniform trägt die Worte: «Deus vult» – Gott will es.
Ausländer im Ukraine- Krieg
Schätzungsweise kämpfen über 2000 Ausländer in der Ukraine. Genaue Zahlen gibt es nicht. Die ukrainische Armee nennt keine Zahlen.
Wie viele Schweizer darunter sind, ist unklar. Laut «Blick» laufen in der Schweiz inzwischen 13 Strafverfahren wegen «Fremden Diensten»; eines davon gegen Jona Neidhart.
Am 12. Februar wurde bekannt, dass ein Schweizer Söldner in der Ukraine ums Leben kam. Dies bestätigte das Aussendepartement EDA gegenüber SRF. Die identität des Gefallenen hat das EDA nicht bekannt gegeben. Es handelt sich nicht um Jona Neidhart. Das «pfarrblatt» steht in regelmässigem Kontakt zu ihm.