Die Klosterkirche im Winter. Foto: zVg

Eine (Winter-)Reise nach Müstair ins Kloster St. Johann

Teil 3: Marketing, tiefer Glaube und Zukunftssorgen


Gegründet von Karl dem Grossen, berühmt für seine Fresken und UNESCO-Weltkulturerbe, zieht das Kloster St. Johann jedes Jahr 45'000 Touristen ins Val Müstair. Heute leben hier noch acht Ordensfrauen. Sie schauen in eine ungewisse Zukunft. 

Annalena Müller*

Heute ist das Leben der Frauen komfortabler als noch vor wenigen Jahrzehnten. Das Klausurgitter ist weg und die Zellen sind trocken. Das Gros der Renovierungen fiel in die Zeit, als Schwester Pia dem Kloster als Priorin vorstand. Sie erkannte die Dringlichkeit, mit der das Kloster renoviert werden musste und überzeugte ihre Mitschwestern davon. Auch wenn mit den Bauarbeiten eine Öffnung nach aussen einherging.

Für die Frauen bedeutete diese Phase Unruhe. Architekten, Stiftungsmitarbeitende oder Angestellte gingen ein und aus und unterbrachen den immer gleichen Tagesablauf der Schwestern. Einen Teil der Klausur mussten die Frauen für die touristische und museale Nutzung übergeben. Eine SRF Dokumentation von 1998 zeigt, wie sehr die Schwestern mit den Veränderungen haderten.

 


Touristenattraktion Museum

Heute haben sie sich mit den Touristen arrangiert. Museumsleiterin Ebenhöch fungiert mitunter als Mittlerin zwischen den Schwestern und der Aussenwelt. Sie geniesst das Vertrauen der Frauen und sorgt mit Ausstellungen und Social Media dafür, dass das Kloster auf dem hart umkämpften Markt der Tagestouristen attraktiv bleibt, ohne dass die Frauen selbst zur Touristenattraktion werden. 

Es ist ein schmaler Grat zwischen Marketing und dem Schutz des geschlossenen Klosterlebens der Frauen. Während die Touristen die karolingischen Fresken fotografieren und die Sinnsuchenden für wenige Tage ein Klosterleben light ausprobieren, leben die Schwestern etwas, das die wenigsten heute noch nachempfinden können, geschweige denn leben wollen. 

Auf den ersten Blick scheint es Parallelen zum modernem Aussteigertum zu geben. Aber das täuscht. Kern ihrer Berufung ist nicht Ablehnung – sei es des Konsums oder der Zivilisation. Sondern die völlige und bedingungslose Hingabe an Gott. Die Abkehr von der Gesellschaft ist eine Folge dieser Hingabe. Sie ist korrelativ, nicht kausal. 

 


Tiefer Glaube und gelebte Überzeugung

Der tiefe Glaube der Frauen ist kein Lifestyle, keine aufs eigene well-being gerichtete Achtsamkeit mit Vollverpflegung. Sondern eine gelebte Überzeugung mit Fokus auf dem Jenseits und dem Paradies. Es ist ein Leben aus einer anderen Welt. Einer Welt, die in Müstair 1250 Jahre ununterbrochen gelebt wurde. Und deren Ende im Jahr 2024 absehbar ist.

Bestand die Gemeinschaft in der Mitte des 20. Jahrhundert aus über 30 Frauen, sind es heute noch acht. Die magische Grenze von fünf Konventualinnen ist in Sichtweite. Wenn ein Konvent diese Zahl erreicht, wird er aufgelöst. Die verbleibenden Bewohner oder Bewohnerinnen werden auf andere Einrichtungen verteilt. So will es der Vatikan. 

Entsprechend sorgenvoll sieht die zweiundneunzig-jährige Schwester Pia die Zukunft ihrer Gemeinschaft. Der Papst habe die Zahl festgelegt. Aber die lange Geschichte des Klosters zeige, dass es durchaus auch mit weniger Frauen geht, wenn nötig. «Während des Grossteils des 16. Jahrhunderts lebten nur zwei bis vier Frauen in St. Johann», sagt die ehemalige Priorin. 

Auch damals herrschte Glaubenskrise in der Schweiz. Die Reformation breitete sich im Tal aus, nur der Ort Müstair blieb katholisch. Pestepidemien forderten immer wieder Opfer und verschonten auch das Kloster nicht. «Aber im 17. Jahrhundert ist die Zahl wieder gestiegen», weiss Pia. Die Schwestern beten dafür, dass es auch dieses Mal so kommen wird. 

 


Schwieriges Thema Zukunft

«Die Zukunftsfrage ist ein schwieriges Thema», sagt Romina Ebenhöch. Während die Schwestern vor allem auf Gott und ihr Gebet hoffen, denkt die Stiftung «Pro Kloster St. Johann» über aktivere Ansätze nach. Unter anderem mit Social Media möchte man auf das Leben im Kloster aufmerksam machen. «Das Kloster St. Johann ist eines der wenigen Klöster weltweit, das seit 1250 Jahren kontinuierlich belebt ist. Wir hoffen sehr, dass das auch künftig so bleibt.» 

Konkrete Pläne für eine mögliche Klosterauflösung gibt es nicht. Unklar ist auch, was in einem solchen Fall mit der Klosteranlage passieren würde. Im Grundbuch steht der Konvent, also die Gemeinschaft der Schwestern. An wen die Anlage übergehen würde, weiss niemand zu beantworten. 

Sowohl der UNESCO-Titel als auch die Stiftung würden weiterexistieren. Die Fresken, das Museum, die Statue Karl des Grossen wären auch dann für Besuchende zugänglich, wenn keine Schwestern mehr hier lebten. Aber es würde aus lebendiger Geschichte tote Mauern machen. Oder, wie Schwester Dominica es in einem Klostergedichte formuliert hat: «Plötzlich könnt’s geschehen, dass den uralten Mauern der monastische Geist entschwebt. Das wäre sehr zu bedauern: Er ist’s der das Ganze belebt.»


*Dieser Artikel ist zuerst in der NZZ erschienen