Graffito mit Papst Franziskus am Kreuz. Bild: KNA

Franziskus: «Homosexualität ist kein Verbrechen, sondern Tatsache des Menschseins»

Mit dem «Segen für Alle» brachte er die Kirche an den Rand des Schismas. In seiner Autobiografie legt der Papst nun nach.


Am 18. Dezember 2023 veröffentlichte das Dikasterium für die Glaubenslehre «Fiducia supplicans». Die Erklärung erlaubt es Priestern erstmals, Paare, die in «irregulären» Beziehungen leben, unter bestimmten Bedingungen zu segnen. «Fiducia supplicans» schien eine Entwicklung des Lehramts anzukündigen: weg von Sünde, hin zu Inklusion.

Tauziehen um Erklärung

Der Aufschrei aus traditionellen Kreisen war gross. Besonders afrikanische Bischofskonferenzen übten Druck aus, indem sie erklären, «Fiducia supplicans» nicht anzuwenden. Konservative Theologen, darunter der frühere Präfekt der Glaubenskongregation, Kardinal Gerhard Ludwig Müller, führen die Erklärung theologisch ad absurdum. Nach nur zweieinhalb Wochen ruderte Rom zurück. Am 4. Januar 2024 veröffentlicht das Dikasterium für die Glaubenslehre eine Pressemitteilung. Darin verteidigte dessen Präfekt, Kardinal Fernández zwar «Fiducia supplicans» und unterstrich das päpstliche Primat in Glaubensfragen. De facto aber beugte sich das Dikasterium dem Druck der Traditionalisten.

In seiner Autobiografie «Hoffe» greift der Papst die umstrittene Erklärung erneut auf und stellt sich hinter sie.  «Fiducia supplicans» gilt, wie der Auszug aus den päpstlichen Memoiren zeigt.

«Fiducia supplicans» gilt

«Und diese Offenheit – und nicht etwas Relativierung oder gar Verfälschung der Lehre – ist es, die den Geist und das Herz von «Fiducia supplicans» prägt, der Erklärung des Dikasteriums für die Glaubenslehre über die pastorale Segnung irregulärer Paare, die sich im Dezember 2023 unterzeichnet habe. Man segnet schliesslich Menschen, keine Beziehungen. Dahinter steht der Wille, nicht das gesamte Leben jener, die um Erleuchtung und Begleitung durch den Segen bitten, auf eine bestimmte Situation oder ihre Lebensumstände zu begrenzen. Alle sind in die Kirche eingeladen, auch geschiedene, homosexuelle und transsexuelle Personen. Als das erste Mal eine Gruppe transsexueller Menschen in den Vatikan kam, sind sie weinend wieder gegangen, zutiefst gerührt, dass ich ihnen die Hand gegeben und sie umarmt habe… Als hätte ich etwas Besonderes für sie getan. Aber sie sind doch Kinder Gottes! Sie können die Taufe genauso erhalten wie andere Gläubige. Und genauso wie andere Gläubige können sie Taufpaten und Taufpatinnen werden oder als Trauzeugen auftreten. Kein Gesetz des Kirchenrechts verbietet das.

Weltweit gibt es mehr als sechzig Länder, die Homosexuelle und Transsexuelle als Verbrecher betrachten. In ungefähr zehn Ländern steht darauf sogar die Todesstrafe, die mitunter auch angewandt wird. Aber Homosexualität ist kein Verbrechen, sondern eine Tatsache des Menschseins. Und die Kirche und die Christen können angesichts dieser verbrecherischen Ungerechtigkeit nicht die Augen verschliessen oder sich kleinmütig verhalten.» 

 

Papst Franziskus: «Hoffe. Die Autobiografie», S. 259-260. (ALM)