Als Zeichen der Solidarität liegen am Samstagnachmittag rote Rosen im Schnee auf dem Schuetzenmattplatz in Bern. Foto Magdalena Thiele
«Geschlechtsspezifische Gewalt geht uns alle an»
Bei eisiger Kälte demonstrierten am Samstag (23.11.) rund 1000 Personen in Bern gegen Gewalt an Frauen. Die Demo ist der Auftakt zur jährlichen Aktion «16 Tage gegen Gewalt an Frauen». Auch kirchliche Player solidarisieren sich mit der Kampagne.
Magdalena Thiele
Es wird ungewöhnlich laut an diesem Samstagnachmittag in Bern. Frauen jeden Alters haben sich bei eisiger Kälte auf dem Berner Schützenmattplatz versammelt. Auch einige Männer sind gekommen. «Gegen Gewalt – Widerstand!» und «Frauen, Leben, Freiheit!» wird immer wieder skandiert, während der Demonstrationszug bis zum Bundesplatz zieht.
Die rund 1000 Personen sind der Einladung der feministischen Friedensorganisation «Frieda» gefolgt, um auf die Aktion «16 Tage gegen Gewalt an Frauen» aufmerksam zu machen. Ab dem 25.11., dem internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen, folgen weitere 250 Veranstaltungen in der ganzen Schweiz.
Alle zwei Wochen ein Femizid
«Mit den 16 Aktionstagen zeigen wir deutlich auf, dass geschlechtsspezifische Gewalt uns alle angeht. Wir müssen diese Gewalt verhindern. Und wir können sie verhindern, wenn wir genügend Ressourcen dafür erhalten», erklärt Anna-Béatrice Schmaltz, Leiterin der Aktion, die seit 2008 durch Frieda koordiniert wird, an der Medienkonferenz zur Vorbereitung auf die Aktionstage.
Gewalt gegen Frauen, sei es physisch, psychisch oder sexualisiert, ist ein globales Problem, das auch die Schweiz betrifft. Laut einer Studie des Bundesamtes für Statistik (BFS) erleben etwa 30 Prozent der Frauen in der Schweiz mindestens einmal in ihrem Leben körperliche oder sexuelle Gewalt. Jede zweite Woche wird eine Frau durch ihren Partner oder Ex-Partner getötet.
Im Jahr 2023 wurden allein den Opferberatungsstellen in der Schweiz knapp 50'000 Fälle von Gewalt gegen Frauen gemeldet. Und die offiziellen Zahlen spiegelten nur einen Teil der Realität wider, sagt Schmaltz. «Viele Gewaltbetroffene suchen keine Unterstützung, weil sie Angst vor Stigmatisierung haben oder durch die fehlende Zugänglichkeit und Barrierefreiheit ausgeschlossen werden.»
Religionen sollen Gegenpol zu Gewalt setzen
Die Kirche dürfe dazu nicht schweigen und müsse ihren Beitrag für eine gewaltfreie Gesellschaft leisten, sagt Demoteilnehmerin Edith Zingg, Gemeindeleiterin der Pfarrei Guthirt in Ostermundigen, gegenüber dem «pfarrblatt». «Auch wir haben die Plakate der Aktion aufgehängt und die Flyer zur Demo verteilt.»
Ihre Pfarrei sei sehr sensibilisiert für das Thema. Einmal im Jahr gehe die Kollekte an die Berner Stiftung gegen Gewalt an Frauen und Kindern und auch die Fachstelle Frauenhandel und Frauenmigration in Zürich (FIZ) werde finanziell unterstützt.
«Generell müssten die Religionen und deren Institutionen aber einen viel stärkeren Gegenpol zur Gewalt setzen. Es gibt eine Vielzahl von Widerstandstexten auch in Bibel», sagt Zingg. «Susanna im Bade» sei nur ein Beispiel davon. Darin rettet der Prophet Daniel Susanna, die von zwei Männern des Ehebruchs bezichtigt wird, weil sie sich ihnen verwehrt hat, vor dem ausgesprochenen Todesurteil. Eine Erzählung, die aber auch verdeutliche, wie stark Religion und patriarchale Strukturen einander stützten, meint Theologin Zingg. «Wenn Gott ein Mann ist, dann ist Mann auch Gott. Das ist die simple Rechtfertigung für männliche Macht auch innerhalb der Kirche. Es sind wieder Männer, die schlussendlich über das Schicksal Susannas entscheiden.»
Gewalt an Frauen in der Kirche thematisieren
Sie sage nicht, dass Religion eine Mitschuld trage an diesen Auswüchsen patriarchaler Strukturen, wie sie bis heute erfahrbar seien. Aber Religion trage vielerorts dazu bei, diese Strukturen zu stabilisieren. Dagegen helfe nur eine Null-Toleranz-Politik, bekräftigt Zingg, «Wir müssen Gewalt an Frauen auch in der Kirche offen thematisieren und dürfen nicht dazu schweigen.» Das fange schon im Religionsunterricht an; auch hier könne mit fragwürdigen Zuweisungen von geschlechterspezifischen Merkmalen gebrochen werden. «Leider fehlen uns hier männliche Lehrer, die gleichzeitig eine Art Vorbildfunktion übernehmen, um Wege aus der Gewalt zu finden.»
Wege aus der Gewalt
Die Wege aus der Gewalt sind in diesem Jahr auch Fokusthema der Aktion «16 Tage gegen Gewalt an Frauen». Damit spreche man zwei unterschiedliche Ebenen an, sagt Frieda-Aktivistin Schmaltz. Zum einen bräuchten Gewaltbetroffene adäquate Unterstützung, um Wege aus der Gewalt zu finden. Und zum anderen bräuchte es gesellschaftliche Veränderung, Sensibilisierung und Prävention, um als ganze Gesellschaft Gewalt zu verhindern. Ein Appell, der sich auch an die Kirchen richtet.
Konkret fordern die verschiedenen Organisationen, die sich an der Aktion beteiligen, in einer Medienmitteilung eine Erhöhung der Anzahl Plätze in Frauenhäusern, die Ausbildung von Fachkräften und die vollständige Umsetzung der Istanbul-Konvention in der Schweiz.
«Wir dürfen das nicht länger akzeptieren. Diese Gewalt ist Ausdruck eines Systems, das geschlechtsspezifische Gewalt weiterhin banalisiert», sagt Stephanie Beutler, Vizepräsidentin von vergewaltigt.ch, an der Medienkonferenz. Auch sie betont, dass alle Verantwortung übernehmen müssten, um Gewalt zu stoppen.