Kardinal Kurt Koch bei seinem Vortrag an der Universität Luzern am 13. November 2024. Foto: Martin Domink Zemp

Kurt Koch in Luzern: Papstamt und Synodalität bedingen einander

Der Schweizer Kardinal Kurt Koch sprach an der Universität Luzern über Papstamt und Ökumene. Seinen optimistischen Grundton teilten nicht alle. So einfach sei es nicht, so der Tenor der Reaktionen auf den Festvortrag.

 

Sylvia Stam

Der Hörsaal der Uni Luzern ist voll. Viel Kirchenprominenz, darunter die Bischöfe Felix Gmür, Charles Morerod und Josef Stübi. Auch Abt Urban ist aus Einsiedeln angereist, RKZ-Genrealsekretär Urs Brosi und sein Vorgänger Daniel Kosch sind da, Luzerner Synodalrätinnen und Politiker, selbst der ehemalige Präsident der Evangelischen Kirche Schweiz, Gottfried Locher, soll unter den Zuhörenden gewesen sein. 

Festvortrag in Luzern

Die Universität hat den Kardinal in seine Heimat eingeladen. Anlass ist sein 75. Geburtstag am 15. März. In seinem Vortrag spricht Koch über «Ökumenische Perspektiven im Blick auf das Papstamt.» 

Der Kardinal stellt gleich zu Beginn klar: «Ohne Gemeinschaft mit dem Bischof von Rom als dem Papst der universalen Kirche ist in katholischer Sicht eine Einheit der Kirche nicht vorstellbar.» Mit anderen Worten: Wenn die anderen christlichen Kirchen den Papst nicht als Oberhaupt akzeptieren, gibt es keine Einheit. Der Papstprimat sei ein «Geschenk des Heiligen Geistes», und die katholische Kirche «verpflichtet», dieses Geschenk mit anderen zu teilen. Koch hält allerdings auch fest, dass das Papstamt von den anderen Kirchen «als grosses Hindernis auf dem Weg zur Wiederherstellung der Einheit der Christen wahrgenommen wird». 

Seine Rede geht dann der Frage nach, wie die gegensätzlichen Wahrnehmungen überwunden werden können, damit das Papstamt nicht länger ein Hindernis auf dem Weg der Ökumene darstellt. 

Anerkennung eines «Ersten» bei den Orthodoxen

Die Überwindung der Spaltung sieht laut Koch in den orthodoxen Ostkirchen anders aus als in den Kirchen der Reformation. In orthodoxer Sicht sei der Bischof von Rom, also der Papst, bloss «Primus inter pares» (Erster unter Gleichen), während er in römisch-katholischer Sicht auch rechtliche Kompetenzen hat. 2007 sei man in dieser Frage einen Schritt weitergekommen. In Ravenna wurde von orthodoxer und römisch-katholischer Seite ein ökumenisches Dokument unterzeichnet, das festhält, dass sich Primat und Synodalität gegenseitig bedingen. Darin würden die Orthodoxen, bei denen es verschiedene lokale Patriarchen gibt, anerkennen, dass es auch auf der universalen Ebene einen «Ersten» brauche. 


Um im ökumenischen Dialog mit den Orthodoxen weiterzukommen, müsste die katholische Kirche synodaler werden, allerdings ohne die Hierarchie und damit den Primat des Papstes aufzugeben. Von den orthodoxen Kirchen «wird man erwarten dürfen», so Koch, «über ein Amt der Einheit auch auf der universalen Ebene nachzudenken», das mehr wäre als ein Ehrenprimat. 

Das Wesen des Papstamts und die konkrete Ausübung

Bei den reformierten Kirchen sei «die Gemeinde die prototypische Realisierung von Kirche». Daher konzentriere sich der ökumenische Dialog mit diesen Kirchen auf die Klärung des Kirchenverständnisses. Koch plädiert hier für eine Rückbesinnung auf Martin Luther. 

Dem Reformator sei es nicht um eine Spaltung, sondern um eine Erneuerung der ganzen Kirche gegangen. Luthers scharfe Papstkritik habe sich nicht prinzipiell gegen das Papstamt als solches gerichtet, sondern gegen dessen missbräuchliche Ausübung. Damit habe Luther letztlich eine Unterscheidung von Papst Johannes Paul II. vorweggenommen, nämlich jene zwischen dem Wesen des Papstprimats und dessen konkreter Ausübung. Mit dieser Unterscheidung könnte der Dialog mit den reformierten Kirchen aus Kochs Sicht weitergeführt werden. 

Koch wagt anschliessend einen Blick in die Zukunft. Er erinnert daran, dass auch aus katholischer Sicht über dem Papst immer noch das Evangelium stehe, dem der Papst zu dienen habe. Der Papst sei der autorisierte Zeuge für den Dienst am Glauben. Aus diesem Grund könne das Papstamt kein blosses Ehrenamt sein. 

Papstamt und Eucharistie

Koch stellt im Folgenden klar, dass Papstamt und Eucharistie eng zusammengehören. Der Bischof von Rom verbinde in der Eucharistie alle Ortskirchen auf der ganzen Welt zur universalen Kirche. Diesen Dienst an der Eucharistie bezeichnet Koch als «Vorsitz in der Liebe». Er drückt seine Hoffnung aus, dass ein ökumenischer Konsens darüber erreicht werden könnte, dass dem Bischof von Rom «der Dienst am Glauben und der Dienst an der Liebe in besonderer Weise anvertraut sind.» Dann wäre das Papstamt nicht mehr das schwerwiegendste Hindernis auf dem ökumenischen Weg. 

 


Mit anderen Worten: Wenn die anderen christlichen Konfessionen die katholische Sicht auf das Papstamt übernehmen könnten, wäre die Haltung der katholischen Kirche nicht länger ein Hindernis im ökumenischen Dialog.  

Zirkelschluss in der Argumentation

Die Worte des Kardinals kommen bei den Zuhörenden unterschiedlich an. Gelobt wird die klare und scharfe Analyse der Positionen der verschiedenen Konfessionen. Zu reden gibt vor allem das Verhältnis von Synodalität und Primat. 

«Koch versteht den Primat des Papstes juristisch, das ist für ihn ein wichtiger Punkt», sagt Adrian Suter, christkatholischer Pfarrer in Luzern. «In der christkatholischen Kirche gibt es Themen, welche Synode und Bischof gemeinsam entscheiden müssen. Es ist in der Kirchenverfassung nicht festgelegt, was passiert, wenn sie sich nicht einig sind. Sie müssen also so lange diskutieren, bis sie sich einig sind. In der katholischen Kirche nehme ich eher wahr: Synodalität ist schön, wenn es dem Papst passt.»

Von einem «Zirkelschluss in der Argumentation» spricht der Theologe Winfried Bader, vor kurzem von der katholischen zur christkatholischen Kirche konvertiert: «Kurt Koch macht an keiner Stelle einsichtig, warum Synodalität und Primat zusammengehen. Die These, dass der Papst dem Evangelium verpflichtet ist, gilt für jeden Christen und jede Christin.» 

Papstamt mit Vetorecht

Für Urs Brosi, Generalsekretär der RKZ, war neu, dass die Orthodoxen anerkennen, dass es auch auf weltkirchlicher Ebene einen «Ersten» brauche: Das schafft eine Verständigungsbasis. Er sieht allerdings bei der rechtlichen Ausgestaltung des Papstprimats Probleme für die Ökumene. 

«Der Papst ist nicht nur Moderator einer Konzilsversammlung, sondern er hat am Ende ein Vetorecht. Dabei geht es nicht nur um die zeitbedingte Ausgestaltung des Papstamts, sondern um eine verbindliche Glaubenslehre. Wie man das Dogma der uneingeschränkten Amtsgewalt des Papstes von 1870 mit dem skizzierten ökumenischen Ehrenprimat mit beschränkter rechtlicher Stellung verbinden will, entzieht sich meinem Vorstellungsvermögen.» Entsprechend teile er den optimistischen Grundton von Kochs Rede nicht.


Marcel Köppli, reformierter Pfarrer in Luzern, ist fasziniert, wie gut man Koch folgen konnte. «Argumentativ vertritt er die alte katholische Schule, indem er am Primat des Papsttums festhält. Für ihn macht das Sinn und das ist so in Ordnung». Spannender fand Köppli die Antwort der Dogmatik-Professorin, Ursula Schumacher auf Kochs Rede. « Sie hat von der Funktionalität des Papsttums gesprochen. Sie hat Koch nicht widersprochen, aber sie hatte einen ganz anderen Zugang. Damit wurde uns die Diversität der katholischen Kirche schön vor Augen geführt.»

Verbindliche Synodalität

Vorsichtig optimistisch ist Nicola Ottiger, Leiterin des Ökumenischen Instituts an der Universität Luzern, das die Fest-Veranstaltung mitverantwortete. «Die Einladung aus Rom an die anderen Kirchen, neu und konkret über den Papst als «Bischof von Rom» nachzudenken, ist ein äusserst hoffnungsvolles Zeichen. Sollte es dereinst gelingen, dass eine gemeinsame Form eines «Einheitsdienstes» für die Kirche gefunden wird, wäre das der grosse Durchbruch in der Ökumene.  Dazu müssen aber alle Kirchen, auch die römisch-katholische, ihre je eigenen «Hausaufgaben» machen». Für die römisch-katholische Kirche bedeute das, die Synodalität konsequent und verbindlich zu stärken und beispielsweise «die Bedeutung der Ortskirchen und deren Anliegen ernst zu nehmen und mehr Spielraum zu schaffen für regionale Entscheidungen.» Schliesslich gehe es grundsätzlich um die Stärkung von Mitsprache und Mitentscheidung des Volkes Gottes. «Wenn der Heilige Geist auch durch die Getauften spricht, und das glauben wir, dann muss dies Konsequenzen haben für eine verbindliche Mitbeteiligung und Mitbestimmung.»