
Gerd Hotz, inzwischen pensioniert, feierte auch ohne Missio queere Gottesdienste. Bild: zVg
Privatleben und Missio entkoppeln: Die Kirche lässt sich Zeit
Bistümer diskriminieren Seelsorgende, deren Privatleben nicht der katholischen Sexuallehre entspricht. Nach Veröffentlichung der Missbrauchsstudie forderte die RKZ, das zu ändern. 1.5 Jahre später ist wenig passiert. Der Hintergrundbericht.
Sylvia Stam
Es ist wie ein Treten an Ort: Seit anderthalb Jahren gibt es landesweit Vorstösse, die Schweizer Bischöfe sollen sich bei der Anstellung von Theolog:innen und Religionspädagog:innen nicht in deren Privatleben einmischen.
Das «pfarrblatt» wollte wissen, wo das Thema inzwischen steht. Die Recherche zeigt: Das Thema ist ein heisses Eisen, über das niemand gerne Auskunft gibt – ausser die von der Diskriminierung Betroffenen.
Stolperstein «Missio»
Im November 2023 sorgte ein offener Brief von Seelsorgenden an die Luzerner Synode für Schlagzeilen. Darin berichten sechs Theologinnen und Theologen von Diskriminierungen bei der kirchlichen Anstellung, weil sie in einer sogenannt «irregulären Situation» lebten, also beispielsweise mit einer Person gleichen Geschlechts liiert waren oder geschieden und in neuer Beziehung. Im Brief forderten die Seelsorgenden die Schweizer Bischöfe auf, Privatleben und kirchliche Beauftragung – die sogenannte «Missio» – endlich zu entkoppeln.

Eine Missio (siehe Infobox) ist die Beauftragung des Bischofs für den kirchlichen Dienst. Eine solche bekommen Priester, Diakone und Theologen:innen sowie Katecheten:innen, die das religionspädagogische Institut (RPI) abgeschlossen haben. Voraussetzung für den Erhalt der Missio ist bis heute eine kirchlich anerkannte Lebensform.
Priester versprechen bei ihrer Weihe, zölibatär zu leben. Aber auch alle anderen müssen entweder zölibatär leben, verwitwet oder kirchlich verheiratet sein. Keine Missio brauchen Katechet:innen, welche die von den Landeskirchen getragene Ausbildung «Formodula» absolviert haben. Sie werden direkt durch die jeweiligen Pfarreien oder Pastoralraumleitungen beauftragt.
Im Bistum Basel geduldet
Wie Luzern gehört auch Bern zum Bistum Basel. Und auch im Kanton Bern werden Menschen aufgrund ihrer Lebensform von der Kirche diskriminiert. Zwei Religionslehrpersonen (RPI) haben dem «pfarrblatt» von ihren Erfahrungen erzählt: «Ich habe nie eine offizielle Absage aus dem Ordinariat erhalten, ich war immer geduldet», fasst Gerd Hotz seine Erfahrungen zusammen. Doch genau dieses «Geduldet-Sein» hinterlasse einen fahlen Beigeschmack. Der Neu-Rentner ist seit zwanzig Jahren mit einem Mann zusammen, seit 2012 in eingetragener Partnerschaft.
Hotz hat eine Ausbildung als Religionspädagoge und eine Zusatzausbildung in Sozialmanagement. In Freiburg i.Br., seinem Heimatbistum, wurde ihm aufgrund seiner Lebenssituation die Anstellung verweigert.
Leitungsaufgaben ohne Missio
Im Bistum Basel hatte er hingegen kirchliche Stellen inne, allerdings ohne Missio: In Pratteln (BL) war Hotz offiziell Sozialverantwortlicher der Kirche, «inoffiziell habe ich die Gemeinde geleitet». Auch in Bern war Hotz beruflich tätig. Bis zu seiner Pensionierung war er in den Pfarreien Wabern und Kehrsatz als Standortkoordinator tätig. «Ich war eine Art Sous-Chef der Gemeindeleiterin, die sich beim Bistum sehr für mich eingesetzt hat. Eine Missio habe ich nie bekommen. Dies wurde allerdings nie mit meiner Lebenssituation begründet.» Dennoch sei er im Bistum Basel sehr glücklich gewesen. «Aber mir wäre wohler gewesen, wenn das Bistum hinter mir gestanden wäre.»

Das Beispiel zeigt, dass das Bistum Basel durchaus Hand bietet zu Lösungen, indem Stellen geschaffen werden, für die es keine Missio braucht. Es kommt auch vor, dass das Bistum Stellen ohne Missio vergibt, etwa im Rahmen einer Citykirche, wenn das Privatleben eines/einer Kandidat:in nicht den erwähnten Bedingungen entspricht.
Priester: Kinder wären «Bastarde»
Subtiler ist der Fall von Monika Müller*. Sie ist geschieden und lebt in neuer Partnerschaft, unverheiratet und mit getrennten Haushalten. Als sie sich beruflich neu orientieren will, überlegt sie sich, sich am religionspädagogischen Institut zur Katechetin ausbilden zu lassen. «Aus dem kirchlichen Umfeld wurde mir aufgrund meiner Lebenssituation davon abgeraten. Ich solle stattdessen die Formodula-Ausbildung machen. Der Aufwand, als geschiedene Frau eine Missio zu bekommen, sei zu gross.»
Katechet:innen mit dieser nicht-akademischen Ausbildung brauchen zwar keine Missio, werden aber in einer tieferen Lohnklasse eingestuft als eine Religionspädagogin, die das an der Uni Luzern angesiedelte RPI absolviert hat. Um als geschiedene Frau eine Missio zu bekommen, hätte Müller ihre Ehe annullieren, also für nichtig erklären lassen müssen.

Müller überlegte sich eine solche Ehe-Annullierung. Ein Priester fragte zurück, ob sie das wirklich wolle, ihre Kinder wären ja dann «Bastarde». «Diese Aussage tat sehr weh. Mir fehlte jedoch damals die Kraft, mit dem Bistum zu kämpfen», sagt Müller.
«Mein Privatleben spielt in meinem Unterricht keine Rolle», sagt die Katechetin, die aktuell im Kanton Bern «eine gute Anstellung» hat, wie sie sagt. Dennoch fragt sie sich: «Was geschieht, wenn die Gemeindeleitung wechselt?» Da die Beauftragung von Katechet:innen Formodula durch die jeweilige Pfarreileitung geschieht, ist diese Sorge nicht unbegründet.
Sonderkommission der Luzerner Synode
In Luzern, das ebenfalls zum Bistum Basel gehört, wurden die sechs Theolog:innen gehört: Eine Sonderkommission der Synode erhielt im November 2024 den Auftrag, in dieser Sache weiterhin Druck auf das Bistum zu machen (das «pfarrblatt» berichtete): Die Kommission «soll sich über die Schritte informieren lassen, die das Bistum und/oder die Schweizerische Bischofskonferenz in dieser Richtung unternehmen. Sie muss prüfen, ob diese Massnahmen geeignet sind, um diese Forderungen zu erfüllen, beziehungsweise der Erfüllung näher zu kommen», erläutert Thomas Scherer, Präsident der Kommission, gegenüber dem «pfarrblatt». Noch im November hat die Kommission den anderen Landeskirchen des Bistums, darunter Bern, ihren Bericht geschickt mit der Bitte, «in ähnlicher Weise selbst aktiv zu werden», sagt Thomas Scherer.
In Bern bislang kein Thema
Das Schreiben hat im November auch die Landeskirche Bern erreicht. Hier interpretiert man das Anliegen aus Luzern als «Information mit der unspezifischen Bitte um Unterstützung». Entsprechend hat sich der Landeskirchenrat des Themas bislang nicht angenommen.

«Ob wir das Anliegen im Landeskirchenrat diskutieren, gilt es an einer der nächsten Sitzungen noch abzuklären», sagt dessen Präsidentin Marie-Louise Beyeler auf Anfrage. Gerd Hotz und Monika Müller würden sich dies jedenfalls wünschen: «Je mehr Player mithelfen, desto eher hat das Thema eine Chance», sagt Müller. Player gibt es derweil genug: Auf nationaler Ebene haben sich auch die RKZ und die «Allianz Gleichwürdig Katholisch» des Themas angenommen.
Frage weitergereicht
Wie heiss die Frage jedoch ist, zeigt die Tatsache, dass spezifische Fragen des «pfarrblatt», welche Lebensformen denn nun missio-konform sind und welche nicht, kaum beantwortet werden. Das Bischofsvikariat antwortet äusserst knapp, ein Kirchenrechtler verweist ans Bistum und dieses wiederum an die Kommission für Theologie und Ökumene (TÖK).
Dabei drängt das Thema. Die Römisch-Katholische Zentralkonferenz (RKZ), das ist der Dachverband der Landeskirchen, hatte die Forderung nach Entkopplung von Missio und Privatleben schon im Herbst 2023 an die SBK gerichtet, kurz nach Publikation der Missbrauchsstudie. «Die SBK hat der TÖK den Auftrag erteilt, eine Auslegeordnung und einen Vorgehensvorschlag zu erarbeiten», sagt Urs Brosi, Generalsekretär der RKZ auf Anfrage. Die SBK habe zugesichert, den Vorgehensvorschlag mit der RKZ intern zu beraten, bevor sie damit an die Öffentlichkeit gehe.
Thema bei der Bischofsversammlung im März?
Ein erster Entwurf der TÖK in dieser Sache wurde bereits letzten September an der Vollversammlung der Bischöfe diskutiert. Die TÖK sei nun dabei, anhand der Rückmeldungen aus der SBK eine überarbeitete Version vorzubereiten, teilt SBK-Generalsekretär Davide Pesenti auf Nachfrage mit.
Astrid Kaptijn, Präsidentin der TÖK, erklärt: «Die Sensibilität des Themas erfordert Diskussionen, in denen die unterschiedenen Anliegen und Vorgehensweisen evaluiert werden, um einen möglichst breit getragenen Vorschlag formulieren zu können. Wir sind noch voll in diesem Prozess.» Aus internen Kreisen ist derweil zu erfahren, die TÖK sei bereit. Es wäre demnach möglich, dass die SBK das Thema an ihrer Vollversammlung vom 10.-12. März diskutiert.
Ein Blick über die Landesgrenze zeigt, dass eine Entkopplung von Privatleben und Missio durchaus möglich ist. Die deutschen Bischöfe haben ihre Grundordnung des kirchlichen Dienstes 2023 entsprechend geändert. «Es bleibt festzuhalten, dass es kein weltkirchliches Gesetz gibt, das die Lebensform kirchlicher Mitarbeitenden, die nicht Kleriker sind, vorgibt. Es sind also stets Bestimmungen, welche die Bischöfe in eigener Kompetenz erlassen», sagt auch Kirchenrechtler Urs Brosi. «Wir sind deshalb zuversichtlich, dass die SBK ohne zusätzlichen äusseren Druck zu einer guten Lösung findet.» Sollte das Ergebnis der SBK dennoch unbefriedigend ausfallen, «würde das Präsidium der Plenarversammlung der RKZ einen Vorschlag für das weitere Vorgehen unterbreiten.»
* Monika Müller ist ein Pseudonym. Sie möchte aus Angst vor beruflichen Konsequenzen anonym bleiben. Name der Redaktion bekannt.
Wer bekommt eine Missio?
Eine Missio brauchen Priester, Diakone und Theologen:innen sowie Katechet:innen mit einer höheren Ausbildung (Religionspädagogisches Institut, Fachhochschule). Es handelt sich dabei um eine kirchliche Beauftragung durch den Bischof. Um diese zu erhalten, gelten für die Personen folgende Voraussetzungen: «Sie leben zölibatär oder verehelicht oder verwitwet (kirchlich anerkannte Lebensformen) und haben einen guten Leumund (z.B. im Bereich Nähe und Distanz, im Umgang mit Geldern/Sachwerten).» In kirchlich nicht anerkannten, so genannt «irregulären» Lebensformen leben Menschen, die geschieden und wieder verheiratet sind, in gleichgeschlechtlicher Beziehung oder im Konkubinat leben. Ob die folgenden Lebensformen auch darunter fallen, wollte das Bistum nicht beantworten: getrennt lebend; standesamtlich verheiratet, jedoch nicht kirchlich; in Wohngemeinschaft mit Menschen verschiedener Geschlechter lebend.